Excel und Access sind vielerorts noch immer die Mittel der Wahl wenn es um den Einkauf und den Absatz von Energie geht. Denn spezialisierte Portfoliomanagement-Systeme sind oftmals in erster Linie auf die Anforderungen reiner Energiehändler ausgerichtet, die Strom an- und verkaufen, aber letztendlich nie an einen Endkunden liefern müssen. Lieferanten haben jedoch ganz andere Anforderungen an ein Portfoliomanagement.
Die Kunst der Beschaffung beim Lieferanten liegt darin, immer genau so viel Energie einzukaufen, wie später tatsächlich verbraucht wird, und das viertelstundengenau zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und das zu einem Preis, der für den Endkunden attraktiv ist, aber gleichzeitig dem Lieferanten auch noch eine ausreichende Marge sichert. Das Problem: Der normale Lieferant bedient eine Vielzahl von Kunden, die sich zudem im Abnahmeverhalten deutlich unterscheiden. Das bedeutet: Für all diese unterschiedlichen Kundengruppen müssen auch individuelle Vertriebsstrategien entwickelt werden, die auf der anderen Seite durch entsprechende Beschaffungsstrategien abgesichert sind. Ein komplexes Geflecht an Beziehungen, das mit den herkömmlichen IT-Werkzeugen kaum abzubilden ist. Denn die sind auf der einen Seite eher "verkaufsorientiert", wie etwa CRM-Systeme. Andere Systeme adressieren in der Regel den klassischen Großhandel, sind also für den Einkauf von Energie zum Zeitpunkt "X" und den folgenden Verkauf zum Zeitpunkt "Y" ausgerichtet. Die Belieferung eines Endkunden mit einem 12-monatigen Base-Produkt bringt solch ein System schon schnell an seine Grenzen.
Die Lösung bringt hier nur ein integrativer Ansatz. Beschaffung und Vertrieb müssen nicht nur eng miteinander verknüpft werden, es müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden, die völlig unterschiedlichen Vertriebs- und Beschaffungsstrategien individuell abzubilden und notfalls auch schnell ändern zu können, beispielsweise wenn sich wichtige Parameter wie Preis oder Verbrauchsverhalten ändern.
Möglich wird dies, wenn man Vertrieb und Beschaffung jeweils in Form von so genannten "Büchern" organisiert. Also "Vertriebsbücher" auf der einen Seite, und "Einkaufsbücher" auf der anderen. In den Einkaufsbüchern sind die Einkaufs- und Verkaufsmengen sowie die Transfers zum Vertrieb abgebildet, in den Vertriebsbüchern analog die Absatzmengen und die Transfers aus der Beschaffung enthalten. Diese Informationen bilden dann die Grundlage für die Abbildung der jeweiligen Beschaffungs- und Vertriebsstrategien. So kann beispielsweise ein Vertriebsbuch ausschließlich für das Tarifkundensegment angelegt werden, und daneben sehr differenzierte Vertriebsbücher für unterschiedliche Gewerbekundensegmente, vom Kettenkunden bis hin zur Aluminiumschmelze. Beschaffungsbücher können auf der anderen Seite entweder genauso nach einzelnen Kundengruppen segmentiert werden, oder aber auch ganz anders, beispielsweise nach Produktgruppen wie Base, Off-Peak etc. Je vielfältiger nun die Kundenstruktur ist, desto vielfältiger sind die möglichen Beziehungen zwischen den Beschaffungs- und den Absatzstrategien. Deswegen müssen Einkaufs- und Vertriebsbücher beliebig miteinander in Beziehung gesetzt werden können.
In der Regel besteht das Beschaffungsportfolio ja aus einem Mix von Standardprodukten wie Base und Peak, die durch nicht standardisierte Produkte, etwa OTC- oder bilaterale Geschäfte, ergänzt werden. Indem diese Struktur differenziert in Form der Einkaufsbücher hinterlegt wird, steht sie transparent auch auf der Vertriebsseite zur Verfügung. Die einzelnen Vertriebsbücher können nun je nach Kundengruppe dezidiert den Einkaufsbüchern zugeordnet werden. In jedem Vertriebsbuch wird so sofort transparent, wie sich die Beschaffungsseite darstellt, was eine sehr genaue Kalkulation der Angebote ermöglicht. Mehr noch: Es können auch unterschiedliche Szenarien kalkuliert werden, indem beispielsweise Angebote mit Hilfe verschiedener Vertriebsbücher durchgerechnet werden. Damit wird sofort sichtbar, welche Kombination aus Kundengruppe und Beschaffungsstrategie die individuell günstigste ist. Über unterschiedliche Vertriebsbücher können aber auch verschiedene Zukunftsszenarien simuliert werden, indem entsprechend abgewandelte Price-Forward-Curves (PFC) hinterlegt werden. Kombiniert man dies mit den Absatzprognosen bzw. -planungen, wird schnell transparent, wie weit man mit den Angeboten gehen kann und ab wann die Marge in Gefahr gerät.
Über die Integration von Beschaffung und Vertrieb können für die Kalkulation zusätzlich auch die aktuellen Marktpreisinformationen herangezogen werden, etwa über Schnittstellen zur EEX oder zu Informationsdiensten wie Bloomberg oder Reuters, genauso wie die aktuellen Informationen über die verfügbaren Mengen. Steht hier beispielsweise eine offene Position zu Konditionen zur Verfügung, die unter den aktuellen Börsenpreisen liegen, können diese Konditionen entsprechend berücksichtigt werden. Besonders bei knapp kalkulierten Angeboten kann so trotzdem noch eine zufrieden stellende Marge erzielt werden.
Ein weiterer Nachteil herkömmlicher Portfoliomanagementsysteme ist der Umstand, dass diese oft als Einzellösung konzipiert wurden, die über Schnittstellen an die benachbarten Systeme angebunden werden muss. Dabei entsteht oftmals ein komplexes Schnittstellendickicht, das den schnellen Austausch von Informationen erschwert. Denn für ein effizientes Portfoliomanagement werden nicht nur Prognoseinformationen benötigt, sondern Daten aus dem Bilanzkreismanagement, aus dem Vertrags- und Kundenmanagement oder dem Vertriebssystem. Auf der anderen Seite müssen die Daten aus dem Portfoliomanagement in anderen Bereichen weiterverarbeitet werden, beispielsweise in der Abrechnung, im Controlling oder wiederum im Bilanzkreis- und Fahrplanmanagement. Deswegen macht es Sinn, das Portfoliomanagement als integralen Bestandteil einer umfassenden Energielogistik aufzubauen, mit der der gesamte Wertefluss ohne Systembrüche abgebildet wird. Der Vorteil: Das Portfoliomanagement arbeitet auf diesem Wege auch direkt auf Basis der aktuellen Informationen im System, ohne dass durch die sonst nötige Synchronisation der Daten Zeit- und damit auch Informationsverluste entstehen.
Autor: Uwe Pagel/Dirk Heinze, Geschäftsführrer AKTIF Technology GmbH, exklusiv für ZfK 01/06