Aus: K-Magazin 07/2005, Oktober 2005
Interview mit Dipl.-Ing. Michael Scharf, Produktmanagement und Marketing Press-/Ziehprodukte, Wieland-Werke AG, Ulm
Die Forderung nach bleifrei stachelte zur Suche an. Alternative Messingwerkstoffe gibt es viele. Doch fast alle mit Macken, bis auf einen. Michael Scharf von den Wieland-Werken sagt, warum sich Ecobrass unter 125 Legierungssystemen als haushoher Favorit herauskristalliserte.
Warum haben Sie einen bleifreien Messingwerkstoff entwickelt?
Auslöser waren die allgemeinen Diskussionen zum Thema Blei, die zunächst in der Sanitärindustrie geführt wurden. Seit Januar 2003 begrenzt die deutsche Trinkwasserverordnung den Bleigehalt in Rohrverbindern auf maximal 2,2 %. Werkstoffe mit höherem Bleigehalt dürfen nicht mehr eingesetzt werden. Später folgten die Automobilindustrie mit der Altautoverord-nung und jüngst die Elektro- und Elektronikindustrie mit den Verordnungen RohS1 und WEEE2, die ebenfalls den Einsatz von Blei erheblich einschränken. Bereits vor Inkrafttreten dieser gesetzlichen Neuerungen haben wir uns intensiv mit dem Thema Bleiersatz in Messingen beschäftigt. Wismut wurde nicht als Alternative zu Blei in Erwägung gezogen, da Messinge mit Wismutzusatz sehr viele gravierende Nachteile aufweisen und schon geringste An-teile für den heutigen Schrottkreislauf schädlich sind. Bei der Untersuchung wurden über 125 Legierungssysteme betrachtet, beispielsweise CuZnSn oder CuZnMg usw. in jeweils mindes-tens fünf verschiedenen Zusammensetzungen. Diese über 600 Varianten wurden hinsichtlich mechanischer Eigenschaften, Umformeigenschaften und Zerspanbarkeit getestet. Zum Schluss blieben drei interessante Legierungen übrig, von denen CuZn21Si3 am viel versprechendsten war. Heute vermarkten wir diesen bleifreiem Werkstoff unter dem Markennamen Ecobrass.
Welche Vorteile im Vergleich zu anderen Messingwerkstoffen bietet Ecobrass?
Wir sind uns bewusst, dass sich ein neuer Werkstoff rechnen muss, sonst wird er nicht eingesetzt. Bei Ecobrass lohnt sich ein genauer Blick auf die Prozesskosten, das heißt die gesamte Wertschöpfungskette, beginnend beim Vormaterial bis hin zum Einsatz des fertigen Teiles beim Kunden. Denn Ecobrass weist sehr viele interessante Eigenschaften im Vergleich zu anderen Messingen auf, die komplette Arbeitsgänge überflüssig machen: Ecobrass besitzt eine sehr gute Warmumformbarkeit und ist damit absolut vergleichbar mit typischen warmumformbaren Messingen wie CuZn40Pb2. Das Fließverhalten bei der Warm-umformung ist so gut, dass mit geringerem Materialeinsatz eine komplette Werkzeugfüllung erreicht wird. Weniger Einsatzmaterial und weniger Abfall, damit wird gleich zweimal gespart. Außerdem ermöglicht die gute Kaltumformbarkeit des Materials Rändeln, Crimpen o. ä. ohne thermische Behandlung. Die Bruchdehnung im gezogenen Zustand liegt bei ca. 20 %. Darüber hinaus ist Ecobrass unter allen Messingen herausragend in der Korrosionsbeständig-keit: Dadurch kann oftmals eine Oberflächenbehandlung gespart werden. Gegenüber Spannungsriss-korrosion ist Ecobrass nahezu unempfindlich. Thermisches Entspanen zum Schutz vor Rissbildung und Bauteileausfall sind somit nicht mehr notwendig. Die Entzinkungsbeständigkeit liegt mit Entzinkungstiefen von 40 – 60 µm auf dem Niveau der entzinkungsbeständigen Messinge. Des Weiteren ist die Legierung seewasserbeständig. Besonders hervorzuheben sind aber in diesem Zusammenhang die hohe Festigkeit und hervorragende Zerspanbarkeit dieses neuen Werkstoffs: Die Zerspanbarkeit ist für einen bleifreien Werkstoff sehr gut. Sie ist vergleichbar mit der von 2 %-bleihaltigen Messingen. Der einzige Vorteil von Blei zeigt sich in der Zerspanung: Der Wechsel im Gefüge zwischen harten und weichen Bestandteilen (Blei) erbringt den Spanbruch. Optimale Zerspanungsergebnisse ergeben sich bei Bleigehalten von über 2 %.
Ecobrass weist Silizium reiche Phasen im Gefüge auf. Diese erbringen über den Wechsel hart zu weich ebenfalls die gute Zerspanbarkeit, ohne auf den Fremdkörper Blei angewiesen zu sein. Das Ergebnis ist neben der guten Zerspanbarkeit gleichzeitig hohe Festigkeit: Ecobrass startet im gepressten Zustand bei einer Zugfestigkeit von etwa 600 MPa, ein Wert, den klassische Messinge selbst bei maximaler Kaltumformung nicht erreichen. Außerdem lässt es sich nach dem Verpressen durch Ziehen auf Zugfestigkeiten bis zu 800 MPa in technisch verwertbare Zustände verfestigen - das ist klassisches Edelstahlniveau mit im Vergleich deutlich erhöhten Streckgrenzen (Rp0,2-Wert).
Wie beurteilen Sie die künftigen Einsatzmöglichkeiten von Ecobrass?
Aus Sicht der Wieland-Werke ist Ecobrass das bleifreie Zerspanungsmessing der Zukunft. Die in vielen Anwendungen dem Edelstahl ebenbürtigen Eigenschaften eröffnen Möglichkeiten über das klassische Messingfeld hinaus. Dieses neuartige Material vereint die Aspekte Wirtschaftlichkeit und Qualität mit ökologischen und gesundheitlichen Anforderungen. Wer Ecobrass einsetzt, kann sicher sein, dass die geltenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich Blei und anderer toxischer Stoffe erfüllt werden, da es keinerlei gesundheitsgefährdende Legierungselemente enthält. Darüber hinaus werden Ecobrass-Späne und -Reststücke von uns zu 100 Prozent wiederverwertet und gleichzeitig hoch vergütet. Der bisherige Erfolg gibt uns Recht: Deshalb wird aus Ecobrass eine Legierungsfamilie werden. Noch in diesem Jahr stellen wir eine besonders für Gussanwendungen geeignete Legierung vor.