Egal ob Gas oder Strom: Energie ist Energie
Positive Effekte durch Gasmarktliberalisierung in Österreich
Während in Deutschland die Regeln und Prozesse für die Liberalisierung des Gasmarktes noch heftig diskutiert werden, sind die Verhältnisse in Österreich längst geklärt. Seit 2002 ist der Gasmarkt dort vollständig liberalisiert. Und obwohl dies Liberalisierung anfangs ebenso stürmisch diskutiert wurde, wie derzeit in Deutschland, hat die Öffnung inzwischen positive Effekte für die Energiewirtschaft. Das zeigt auch das Beispiel der Salzburg AG.
Als Zusammenschluss aus den Salzburger Stadtwerken und dem Regionalversorger SAFE hervorgegangen, startete die Salzburg AG im Ende 2000 offensiv in die Liberalisierung des österreichischen Energiemarktes. Das neu gegründete Unternehmen musste dabei wenig Rücksicht auf überkommene Strukturen nehmen. Speziell im Bereich Energiehandel konnten die Prozesse von Grund auf neu aufgebaut werden. Im Fokus standen dabei von Beginn an nicht nur die Prozesse im Bereich Strom, sondern gleichzeitig auch die Prozesse im Gasbereich. Ziel war es dabei, die beiden Energiearten nicht separat zu behandeln, sondern wo immer möglich, Synergien zu erschließen, speziell auch was den Einsatz von IT-Lösungen angeht. Denn schon damals war absehbar, dass es nur mit dem Einsatz entsprechender Software-Werkzeuge möglich sein würde, den Anforderungen des liberalisierten Marktes zu genügen und gleichzeitig die Effizienz in den Prozessen sicherzustellen, ohne Einbußen bei der Prozessqualität hinnehmen zu müssen.
Dass dieser Ansatz der einzig richtige war, zeigte sich schnell. Denn sehr viel konsequenter, als dies derzeit in Deutschland geschieht, gab der österreichische Regulator E-Control bei der Gestaltung wie bei der Umsetzung der Marktregeln eine eindeutige Richtung vor. Zwar stieß E-Control dabei auf sehr große Vorbehalte in der Energiewirtschaft, genauso wie derzeit die deutsche Bundesnetzagentur. Doch sie setzte ihre Vorstellungen auch gegen Widerstände in den allermeisten Fragestellungen durch. Auch beim Gas! Ganz nach dem Motto "Energie ist Energie" wurde das Marktmodell "Gas" so weit als möglich nach dem Marktmodell "Strom" ausgerichtet. Angefangen beim Bilanzgruppenmodell bis hin zur Kilowattstunde als Messeinheit statt des Kubikmeters, mussten gestandene "Gaswerker" in kürzester Zeit komplett umdenken. Althergebrachte Dinge wie etwa der "Gastag" gehörten auf einmal großteils der Vergangenheit an. Stattdessen mussten nun ganz neue Handelsprozesse aufgebaut werden, von der Prognose bis hin zur Fahrplananmeldung beim Bilanzgruppenkoordinator und den Regelzonenführern
Für die Betroffenen war dies sicher nicht immer ganz einfach, doch aus heutiger Sicht hatte das zielorientierte Vorgehen der E-Control eindeutig Vorteile für die Unternehmensorganisation. Denn so konnten nicht nur die Erfahrungen, die man bei der Umsetzung der Stromliberalisierung gewonnen hatte, direkt auf den Gasbereich übertragen werden. Auch die Softwarelösungen selbst mussten lediglich angepasst und nicht komplett neu aufgesetzt werden. Ein Segen, gerade auch für die Salzburg AG selbst, vor allem angesichts des engen Zeitrahmens für die Umsetzung der Liberalisierung. Denn nach der Fusion im Herbst des Jahres 2000 mussten einige Anstrengungen unternommen werden, um die IT-Infrastruktur fristgerecht zum 1. Oktober 2001, dem Start der Strommarktliberalisierung in Österreich, zum Laufen zu bringen. Nach der Entscheidung für das Abrechnungssystem unter SAP IS-U, begann im Frühjahr 2001 dann die Implementierung des die auf der GENERIS Plattform des finnischen Herstellers Process Vision basierenden Energielogistik-Systems, das in Deutschland auch unter der Produktbezeichnung CS.EL integriert in die Schleupen-Branchenlösung angeboten wird. In Zusammenarbeit mit der VISOS AG mit Sitz im schweizerischen Fehraltorf gelang es trotz dieses äußerst knappen Zeitrahmens, die Stromprozesse rechtzeitig zum Stichtag 1. Oktober 2001 umzusetzen und das Energielogistik-System integriert mit den SAP-Systemen in Betrieb zu nehmen.
Die Adaption des Energielogistiksystems GENERIS beziehungsweise Schleupen CS.EL an die Gasprozesse verlief etwas entspannter. Viele Einstellungen konnten direkt übernommen werden. Speziell im kommerziellen Bilanzgruppenmanagement waren nur kleinere Anpassungen notwendig. Gemäß Marktregeln wurden beispielsweise die wenigen Gasproduzenten und Speicherbetreibern in Österreich in eigenen Regelzonen abgebildet. Fahrpläne, die innerhalb einer dieser Regelzonen angemeldet wurden, sind danach anders zu handhaben, als Fahrpläne die Regelzonengrenzen überschreiten. Ansonsten funktioniert das Gasmarkt-Modell insgesamt analog wie das Strommarkt-Modell. Unterhalb der Bilanzgruppen definiert die Vertriebsorganisation in der Rolle des Lieferanten unterschiedliche Produkte, etwa für Großkunden, Gewerbe oder Privathaushalte. Aus dem erwarteten Absatz dieser Produkte ergeben sich die zu beschaffenden Mengen, die bei den Handelspartnern im Rahmen der Gaslieferungsverträge abgerufen werden. Dies geschieht wie beim Strom über Nominierungen bzw. Fahrpläne, die gleichzeitig auch an die Bilanzgruppenkoordinatoren geschickt werden. Sämtliche dieser Vorgänge werden seit dem 1. Oktober 2002 ebenfalls über das Energiedatenmanagementsystem GENERIS abgebildet. Damit hat sich dieses Werkzeug zu einem ganz zentralen Instrument für die Salzburg AG entwickelt. Denn gerade der Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Marktpartnern wäre heute mit herkömmlichen Mitteln kaum noch zu verarbeiten. Das macht schon allein das Volumen der Fahrpläne deutlich, die jährlich versendet werden: Rund 10.000 sind es beim Strom und etwa 2.600 beim Gas. Automatisierte Verfahren sind für den Austausch derartiger Datenmengen unabdingbar, ansonsten würden die Kosten explodieren. Schon aus diesem Grund wäre auch den deutschen Marktpartnern dringend anzuraten, die Standards und Verfahren für den elektronischen Datenaustausch zügig umzusetzen.
Es lohnt sich auch sonst, die eigenen Strukturen gründlich unter die Lupe zu nehmen und die IT offensiv als Mittel zur Steigerung von Effizienz und Prozessqualität zu nutzen. Denn wie die Erfahrungen in Österreich zeigen, werden die Bereiche, in denen es gelingt, Synergieeffekte zu bewahren, zunehmend kleiner. Eine Ursache ist hier auch das Unbundling, das in Österreich sehr viel weitgehender umgesetzt wurde, als dies derzeit noch in Deutschland der Fall ist. Das gesellschaftsrechtliche Unbundling ist seit 1. Jänner 2006 die Regel, und deswegen hat auch die Salzburg AG ihrer Organisation an die neuen Rahmenbedingungen angepasst und die Leitsungsbeziehungen für "Shared Service"-Funktionen klar definiert, um soweit möglich noch Synergien zu bewahren. Gemäß der Unbundlingvorschriften sind die Geschäftsprozesse für Netz und Energie strikt zu trennen. Zentral wird deswegen auch die Abrechnung über die Unternehmenseinheit Kundenservice und Informatik auf Basis von Dienstleistungsverträgen abgewickelt. Der IT-Bereich ist darüber hinaus noch für das Funktionieren der IT-Systeme verantwortlich. Das Energiedatenmanagement selbst wird dezentral in den Fachbereichen abgewickelt. Die Lösung basiert hier zwar nach wie vor überall auf Generis bzw. Schleupen CS.EL. Netz und Energie nutzen inzwischen eigene Systeme bzw. Mandanten, die mit Unterstützung der VISOS AG jeweils an die speziellen Anforderungen sowie an Strom und Gas angepasst wurden.
Insgesamt hat die Liberalisierung der Energiemärkte nicht nur zu einer Veränderung in der Organisation der Unternehmen geführt. Auch das Denken der Marktpartner insgesamt hat sich verändert. So haben die Vorbehalte gegenüber der Liberalisierung deutlich abgenommnen. Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen gestiegen, die die Liberalisierung als Chance begreifen und auch ihre Unternehmen entsprechend ausgerichtet haben. Das gilt auch für den eher konservativen Gasmarkt, und das nicht nur im Handels-, sondern auch im Netzbereich. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass die Gasnetze zunehmend seltener druckoptimiert gefahren werden. Heute erfolgt die Optimierung vielerorts eher kurzfristig über Käufe und Verkäufe von Gas, Speicheroptimierung, oder durch die Möglichkeiten am Ausgleichsenergiemarkt, also absolut marktorientiert.
Dennoch stößt die Liberalisierung des Gasmarktes auch in Österreich an Grenzen. Denn anders als beim Strom, den man überall aus den unterschiedlichsten Quellen beziehen kann, ist die Zahl der potenziellen Produzenten und Lieferanten beim Gas begrenzt. Die Dynamik des Marktes ist damit deutlich eingeschränkt. Dennoch kann er funktionieren, wenn auch in einem deutlich kleinere Rahmen als beim Strom. Das zeigt das Beispiel der MyElectric Energievertriebs- und -dienstleistungs GmbH, über die die Salzburg AG seit 2001 Strom und seit dem 1. Oktober 2002 auch Gas außerhalb des eigenen Netzgebietes vertreibt. Der Energieanbieter, an dem die Salzburg AG sowie die TIWAG-Tiroler Wasserkraft mit jeweils 50 Prozent beteiligt sind, konnte in diesem Zeitraum nicht nur 35.000 Stromkunden gewinnen, sondern auch mehr als 5.000 neue Gaskunden. Und die Wechselbereitschaft steigt: Zunehmend gelingt es, neue Stromkunden gleichzeitig auch für die Gasprodukte zu begeistern.
Autor: Uwe Pagel, exklusiv für e|m|w 02/06