Ein-Vertrags- versus Zwei-Vertragsmodell: Quo Vadis?
Unterschiedliche Lösungsansätze für unterschiedliche Anforderungen
Es gibt wenige Themen, die derzeit im Zusammenhang mit den Anforderungen des "Unbundlings" so heftig diskutiert werden, wie die Frage des richtigen Vertragsmodells. Ist das Zwei-Vertragsmodell die alleinseligmachende und einzig korrekte Lösung, ist es das Ein-Vertragsmodell, müssen unterschiedliche Mandanten eingeführt oder die eingesetzten Softwaresysteme gar zweifach installiert werden? Um dies entscheiden zu können, gilt es sich die unterschiedlichen Lösungen einmal genau anzusehen.
Ziel aller Umsetzungsmodelle muss es sein, das Unbundling möglichst effizient und kostengünstig zu realisieren. Denn das ist eines der erklärten Ziele sowohl der EU-Binnenmarktrichtlinie als auch des deutschen Energiewirtschaftsgesetzes. Dieses Ziel gilt damit auch für die Umsetzung der "unbundling-gerechten" IT-Organisation und muss bei der Diskussion um das regelkonforme Modell für die Abbildung der Verträge, insbesondere auch der Tarifkundenverträge, entsprechend berücksichtigt werden. Um entscheiden zu können, welches Modell das jeweils geeignete ist, ist eine genaue Definition der einzelnen Modelle hilfreich.
Ein-Vertragsmodell
Das Ein-Vertragsmodell orientiert sich an der Vertragsstruktur, die derzeit in der Branche üblich ist, und bildet damit auch die heute üblichen juristischen Beziehungen ab. Für die Ein-Vertragsbeziehung des Endkunden zum Energielieferanten bei einem so genannten All-Inclusive-Vertrag wird im Abrechnungssystem auch nur ein Vertrag mit einem Tarif abgebildet. Mit der Umsetzung des Unbundling zerfällt dieser Vertrag und der dazugehörige Tarif intern in mehrere Preisbestandteile, die sich jeweils aus der Zugehörigkeit für die Bereiche Netzbetrieb und Energievertrieb ergeben. Zudem erfordern Nachweis- und Berichtspflichten eine weitergehende Aufgliederung der Preise (z.B.: EEG- und KWKG-Zuschläge). Damit beim Ein-Vertragsmodell die korrekte Verbuchung der Erlöse und Forderungen sichergestellt werden kann, müssen entsprechende Kontierungsvorgaben bis auf die Ebene der Preisbestandteile vorgenommen werden. Bei Bedarf können die Konten sich auch in unterschiedlichen Mandanten der angeschlossenen Finanzbuchhaltung befinden. Dazu muss das Abrechnungssystem allerdings eine mandantenübergreifende Verbuchung unterstützen.
Zwei-Vertragsmodell
Das Zwei-Vertragsmodell sieht eine Aufgliederung der Ein-Vertragsbeziehung in zwei Verträge und zwei Tarife innerhalb des Abrechnungssystems vor. Damit dient ein Vertrag mit dem dazugehörigen Tarif der Abbildung der Preisbestandteile, die dem Energievertrieb zuzurechnen sind, und ein zweiter Vertrag nebst Tarif den Preisbestandteilen für die Leistungen des Netzbetriebs. Auch hier gilt: Durch entsprechende Kontierungsvorgaben bis auf die Ebene der Preisbestandteile werden die korrekte Verbuchung der Erlöse und Forderungen sichergestellt. Auch bei diesem Modell können sich die Konten in unterschiedlichen Mandanten der angeschlossenen Finanzbuchhaltung befinden, dazu muss aber ebenfalls die mandantenübergreifende Verbuchung gewährleistet werden. Wichtig im Sinne der Kundenorientierung ist jedoch, dass der Kunde auch weiterhin nur eine Rechnung erhält, auf der beide Verträge dargestellt sind. Auch dies muss softwaretechnisch möglich sein.
Zwei-Mandantenmodell
Im Zwei-Mandantenmodell werden die Abrechnungsdaten auf zwei Mandanten aufgeteilt. Es handelt sich also um zwei Mandanten innerhalb der Abrechnung und der Finanzbuchhaltung. Dabei erfolgt je nach Abrechnungssystem eine nahezu vollständige Dopplung der Stammdatenobjekte, wie beispielsweise Personen, Lieferstellen, Zähler, Abrechnungszählwerke. Im Mandanten "Vertrieb" erfolgt die Abbildung der Energielieferverträge im Regelfall inklusive Netznutzungsbestandteilen. Die Verbuchungen aller Bestandteile erfolgt vollständig auf die Konten des Vertriebs, wobei die Netznutzungsbestandteile den Charakter von "durchlaufenden Posten" besitzen.
Im Mandanten "Netz" wird die Geschäftsbeziehung zwischen Energievertrieb und Netzbetrieb abgebildet: Das Ergebnis ist ein Netznutzungsvertrag mit Netznutzungstarif bezogen auf die Lieferstelle. Der Vertragspartner ist hier der Energievertrieb.
Zwei-Systemmodell
Im Zwei-Systemmodell wird das Zwei-Mandantenmodell insofern erweitert, als dass die unterlagerte IT-Installation und ggf. auch die IT-Hardware gedoppelt wird. Die Darstellung der Datenobjekte erfolgt analog zum Zwei-Mandantenmodell. Denkbar ist hier auch die Nutzung unterschiedlicher Abrechnungssysteme für die Bereiche Netz und Vertrieb.
Sämtliche Vertragsmodelle unterscheiden sich zum einen im Erfüllungsgrad, was die Umsetzung des Unbundlings angeht. Zum anderen ist Aufwand, der für die Einführung notwendig ist, sehr unterschiedlich (siehe Abb.)
Das Ein-Vertragsmodell ist in der Vergleichsbetrachtung die mit Abstand kostengünstigste Variante, wobei an den Erfüllungsgrad des Unbundlings vergleichsweise geringe Zugeständnisse gemacht werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Ein-Vertragsmodell gerade für kleinere und mittlere Stadtwerke sicherlich die wirtschaftlichste Lösung.
Es gibt jedoch durchaus Gründe, die auch für den Einsatz des Zwei-Vertragsmodells sprechen. Beispielsweise die bessere Übersichtlichkeit des Vertragsportfolios. Denn beim Zwei-Vertragsmodell gibt es nur Netznutzungs- und Lieferverträge, die Vertragswelt kann damit absolut unbundelt und spartenrein abgebildet werden. Der eigene Lieferant wird in der Vertragsabbildung zudem wie ein fremder Lieferant behandelt, was den Anschein einer höheren Unbundling-Konformität erweckt. Wenn die Erstellung von Netznutzungsrechnungen auch an den eigenen Lieferanten erfolgen soll, was nicht zwingend sein muss, kann dies transparenter auf Basis von zwei Verträgen erfolgen. Sofern das Zwei-Vertragsmodell als Netznutzungs- und All-Inclusive-Vertrag umgesetzt wird, erreicht man klare Zuständigkeiten für die einzelnen Verträge (Netznutzungsverträge: Netz; All-Inclusive-Verträge: Vertrieb). Häufigster Grund für die Einführung eines Zwei-Vertragsmodell dürfte jedoch die Tatsache sein, dass das eingesetzte Abrechnungssystem kein Ein-Vertragsmodell unterstützt – die günstigere Lösung ist damit von Vornherein nicht umsetzbar.
Beim Zwei-Mandanten- und Zwei-Systemmodell erreicht man eine noch stärkere Trennung der Daten, mit Vorteilen etwa bei der Transparenz oder durch die eindeutigen Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte Informationen. Diese Vorteile erkauft man sich jedoch durch die große Menge an doppelten Daten: Abnahmestellen, Installationsorte, Zähler und Zählwerke oder Netznutzungstarife sind nur einige Beispiele hierfür. Mit diesen Modellen sind sicher auch sehr Gesetzestext-nahe Interpretationen des EnWG darstellbar. Empfehlenswert können diese Modelle dennoch, wenn überhaupt, nur beim gesellschaftsrechtlichen (legal) Unbundling sein. Für ein kleines oder mittleres Werk ist der Aufwand sowohl für die Einführung als auch für den Betrieb eines solchen Systems sicherlich zu hoch.
Ein-Vertragsmodell: nicht Unbundling-konform?
Obwohl es, wie beschrieben, die einfachste und günstigste Lösung ist, kommt das Ein-Vertragsmodell oftmals nicht zum Zuge, weil befürchtet wird, es sei nicht Unbundling-konform. Ein Argument, dass auch in der allgemeinen Diskussion immer wieder verwendet wird. Dass das so nicht richtig ist, zeigt die Betrachtung der kritischen Prozesse im Energieunternehmen. Kritische Prozesse sind in erster Linie Prozesse aus Sicht des Netzbetreibers, denn auf diesen bezieht sich ja die Regulierung. Betrachtet werden müssen dabei zum einen die Prozesse, die im Sinne des EnWG diskriminierend sind oder sein können. Diskriminierend im Sinne des EnWG sind Prozesse dann, wenn der mit dem Netzbetrieb verbundene Energievertrieb (eigener Vertrieb) besser gestellt wird, als ein externer Energievertrieb (externer Vertrieb). Zum anderen sind kritische Prozesse die heutigen und auch zukünftigen Arbeitsabläufe in einem EVU, die den Hauptaufwand der Arbeitszeit beanspruchen und eine große Anzahl von Mitarbeitern binden. Betrachtet man diese Prozesse im Einzelnen, wird deutlich, dass sie sich problemlos auch mit einem Ein-Vertragsmodell abbilden lassen.
Rechnungslegung Netznutzung
Netznutzungsrechnungen werden heute an den externen Vertrieb in der Regel als Einzelrechnungen in Papierform versandt. Mit der Netznutzungsrechnung erfolgt auch die Weitergabe der Ablesewerte und der Informationen über Zählerwechsel. Die Eingangsrechnungen sind aufwändig zu prüfen und einzubuchen. Die Abrechnung gegenüber dem Endkunden erfolgt erst nach Eingabe der Ablesewerte oder basiert auf Schätzwerten. Eine Faktura der Netznutzung an den eigenen Vertrieb ist nicht erforderlich.
Zukünftig gibt es 2 Varianten: Entweder werden (Papier-)Rechnungen an den fremden und den eigenen Vertrieb gestellt. Damit hat der eigene Vertrieb künftig denselben Aufwand für die Rechnungsprüfung und Dateneingabe, wie ihn heute bereits der fremde Vertrieb betreiben muss. Oder dieser Aufwand kann durch den Versand von elektronischen Rechnungen (z.B. im Edifact-Invoic-Format) deutlich gesenkt werden, da damit eine automatische Rechnungseingangsbearbeitung möglich wird. Die Abrechnung der Netznutzung für den eigenen Vertrieb erfolgt implizit durch die automatische Buchung der Netznutzungsbestandteile bei der Endkundenabrechnung. Betrachtet man die Verbuchung der Netznutzungsrechnung als Prozessergebnis, verbleibt eine vernachlässigbare Zeitverzögerung als einzige Differenz zwischen fremdem und eigenem Vertrieb. Dem gegenüber steht die automatische Verbuchung der Netznutzungserlöse vom eigenen Vertrieb für den Netzbetreiber, denn die Endkundenabrechnung erfolgt durch den Vertrieb.
Forderungsmanagement
Heute wie auch zukünftig erfolgt das Management von Zahlungen und Mahnungen zentral durch eine Stelle. Denn die Forderungen bestehen gegenüber den Debitoren ebenfalls nur durch einen Vertragspartner. Heute ist dies das Gesamt-EVU, zukünftig der Vertrieb. Lediglich bei den Kunden, die bereits heute durch einen externen Vertrieb beliefert werden, erfolgt das Forderungsmanagement bereits heute durch diesen externen Vertriebsbereich.
Es bleibt die Frage zu diskutieren, ob der Netzbetreiber, der juristisch die in- und externen Vertriebe als Kunde hat, im Ein-Vertragsmodell frei von Zahlungsverzügen und Forderungsausfällen der Endkunden zu stellen ist. Doch unabhängig von der Beantwortung dieser Frage, kann der Netzbetreiber in einem integrierten System mit Ein-Vertragsmodell im Zweifel durch entsprechende Ausgleichsbuchungen schadlos gestellt werden.
Weitergabe von Ablesewerten
Die Weitergabe von Ablesewerten und Informationen zu Zählerwechseln an einen externen Vertrieb erfolgt heute durch die Zustellung der Netznutzungsrechnung.
Zukünftig ist auch hier ein zeitnaher elektronischer Datenaustausch vorzusehen, der dem fremden Vertrieb eine automatische Erfassung erlaubt (z.B. MSCONS-Format).
Der eigene Vertrieb erhält die Zählerwerte implizit, da die Daten vom Netzbetreiber in das System eingepflegt werden. Die Verfügbarkeit der Ablesewerten im System ist das Ergebnis dieses Prozesses. Dabei erhält der fremde Vertrieb die Informationen kurzfristig später als der eigene. Diese Zeitverzögerung dürfte jedoch zu vernachlässigen sein.
Initiale Neukunden
Initiale Neukunden sind Neukunden in einem Verteilnetz, die sofort von einem externen Vertrieb beliefert werden und damit nie Kunden des eigenen Vertriebs waren.
Diese Kunden stehen in einem integrierten System mit den Personen- und Lieferstellendaten jedem Nutzer, also auch dem internen Vertrieb zur Verfügung. Die zu schützenden Daten sind auch hier die Vertragsdaten, die durch ein geeignetes Sichtenkonzept dem eigenen Vertrieb nicht zugänglich sein dürfen. Personendaten und Lieferstellendaten sind allgemein zugängliche Daten oder Daten, deren Kenntnis keine wirtschaftlichen Nutzen bringen. Damit sind diese Daten im Sinne des Unbundling unkritisch.
Hausanschlüsse
Die Information über Lieferstellen und damit über Hausanschlüsse steht in einem integrierten System auch dem eigenen Vertrieb zur Verfügung. Dies gilt auch für Lieferstellenstellen, die vom eigenen Vertrieb z.B. nur mit Wasser oder überhaupt nicht beliefert werden. Lieferstellendaten sind allgemein zugängliche Daten oder Daten, deren Kenntnis keine wirtschaftlichen Nutzen bringen. Damit sind auch diese Daten im Sinne des Unbundling unkritisch.
Neubaugebiete
Über die Erstellung von Hausanschlüssen und das Setzen von Zählern durch den Netzbetreiber werden die Lieferstellen in das Abrechnungssystem aufgenommen und stehen in einem integrierten System auch dem eigenen Vertrieb zur Verfügung. Auch der Zugriff auf diese Lieferstellendaten dürfte unkritisch sein, da sie ebenfalls frei zugänglich sind, also keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Nutzen bringen.
Vertragsmanagement (Vertragsabschluss und Vertragsauflösung)
In einem integrierten System erfolgt das Vertragsmanagement von gemeinsamen Kunden von Netzbetreiber und eigenem Vertrieb durch den eigenen Vertrieb. Damit übernimmt der eigene Vertrieb implizit auch eine Aufgabe des Netzbetreibers, denn durch die Vertragsanlage und die damit bereits vorkonfigurierte Kontierung auch der Netzerlösbestandteile ist die Anlage eines separaten Netznutzungsvertrages durch den Netzbetreiber hinfällig. Dies gilt analog für die Vertragsauflösung.
Als Fazit kann man also feststellen, dass das Ein-Vertragsmodell im Sinne des Unbundlings keinesfalls Probleme aufwirft, und viele Versorgungsunternehmen mit diesem Modell sicherlich effizient und vor allem wirtschaftlich arbeiten können. Voraussetzung ist allerdings, dass sie eine Abrechnungslösung im Einsatz haben, die dieses Modell auch unterstützt.
Autoren: Carsten Posnatzki, Produktmanager VA, Schleupen AG und Uwe Pagel, exklusiv fürr die ZfK 03/05