Im Dickicht der Risiken den Überblick behalten
Ganzheitliches Risikomanagement bei der Energiedienst-Gruppe
Unternehmerisches Handeln ist immer mit Risiken verbunden. Kaum eine Branche verzeichnet derzeit jedoch eine derartige Fülle an neu entstehenden Risiken, wie die Energiebranche. Ob Energiepreissteigerungen, die Diskussion der Netznutzungsentgelte, Unbundling oder Anreizregulierung: Es wird zunehmend schwieriger, sämtliche Risiken im Blick zu behalten, sie sauber zu bewerten und vor allem Maßnahmen zu entwickeln, um diesen Risiken wirkungsvoll zu begegnen. Bei der Energiedienst-Gruppe in Rheinfelden wurde dieses Problem durch den Einsatz eines Risikomanagement-Systems gelöst. Mit Hilfe von R2C_risk to chance von Schleupen werden dort sämtliche Unternehmensrisiken konsolidiert betrachtet – eine wertvolle Informationsbasis für die strategische Unternehmensführung.
Es war die Herausforderung "Stromhandel", die bereits 2002 zum Aufbau des Risikomanagements bei der Energiedienst-Gruppe geführt hatte. Zwar kann das Unternehmen rund ein Drittel seiner Bezugsmenge – rund 5 Terrawattstunden – aus eigener Erzeugung decken. Die restlichen zwei Drittel müssen jedoch beschafft werden. Dies sollte nicht zuletzt über die EEX geschehen. Voraussetzung für die Zulassung an der Strombörse ist ein Risikomanagement, die Einführung eines entsprechenden Systems war also eine Grundbedingung für die aktive Beteiligung am Stromhandel. Anders als in anderen Unternehmen organisierte man bei der Energiedienst-Gruppe das Management der Beschaffungsrisiken jedoch nicht separat, sondern bemühte sich frühzeitig, das Risikomanagement im Stromhandel in ein unternehmensübergreifendes System zu integrieren. "Ziel war es von vornherein, alle Risiken im Unternehmen in eine Gesamtsicht zu überführen, und sie vor allem systematisch zu identifizieren, zu analysieren und zu steuern. Nur so kann das Risikomanagement einen aktiven Beitrag zur Realisierung der Unternehmensziele leisten", beschreibt Roland Preisler, verantwortlich für das Risikomanagement der Energiedienst-Gruppe, die damalige Ausgangssituation. Statt das Risikomanagement lediglich als Pflichtübung zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben (KonTraG, Corporate Governance Kodex, Basel II) zu sehen, wie das in anderen Unternehmen durchaus an der Tagesordnung ist, sollte das Risikomanagement bei der Energiedienstgruppe helfen, Geschäftsprozesse besser zu durchdringen, Informationen zu strukturieren und den Informationsfluss insgesamt zu straffen.
Dieser ganzheitliche Ansatz spiegelt sich sowohl in der Aufbauorganisation, als auch in der IT-technischen Umsetzung des Risikomanagements wider (siehe Abb. 1). So ist im Prinzip jeder Mitarbeiter für die Identifikation der Risiken verantwortlich. Im Rahmen der Risikoinventur werden diese Risiken an die Risikobeauftragten gemeldet. Wenn möglich, werden bereits an dieser Stelle die möglichen Auswirkungen eines Risikos quantifiziert und Maßnahmen für die Risikominimierung vorgeschlagen. Regelmäßig werden die Risiken anschließend von den Risikoverantwortlichen, d.h. von den jeweiligen Führungskräften, diskutiert und nawrockihre Entwicklung überwacht. Auf diese Weise fungiert das Risikomanagement auch als Frühwarnsystem. Negative Entwicklungen eines Risikos können sofort erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. "Das ist natürlich nur möglich, wenn sämtliche Unternehmensrisiken mit einer einheitlichen Systematik erfasst und beschrieben werden. Deswegen müssen auch die jeweiligen Vorsysteme in das Risikomanagement integriert werden", so Roland Preisler.
Über die Integration können auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf die einzelnen Risiken realisiert werden. Beispiel Handelssystem: In Beschaffung und Vertrieb ist es entscheidend, die einzelnen Risiken direkt im Blick zu haben, tagesaktuell, im Intra-day-Handel aber auch minutengenau. Deswegen setzt die Energiedienstgruppe hier auf das in die Handelsplattform integrierte Risikomanagement. In der Gesamtsicht sind jedoch die längerfristigen Entwicklungen wichtig. Die Zahlen werden deswegen aus der Handelslösung aggregiert an das zentrale System R2C übergeben und dort im Rahmen eines Soll/Ist-Abgleichs mit den Planzahlen für das Gesamtjahr in Beziehung gesetzt (Abb. 2).
Ähnlich wurden und werden sukzessive weitere Vorsysteme angebunden. Beispielsweise das Konzessionsmanagement. Durch das Auslaufen vieler Konzessionsverträge ist auch auf diesem Gebiet der Wettbewerb voll entbrannt. Deswegen hat sich das "Konzessionsrisiko" inzwischen auch für die Energiedienst-Gruppe zu einem zentralen Risiko entwickelt. Nur wer auslaufende Konzessionsverträge frühzeitig identifiziert, kann wirkungsvolle Maßnahmen einleiten, um zu verhindern, dass einzelne Konzessionsverträge von Mitbewerbern übernommen werden. Diese Informationen werden ebenfalls an das Risikomanagement übergeben, bewertet, mit entsprechenden Maßnahmen verknüpft und die Entwicklung der Risiken dokumentiert.
Ähnliches gilt für den Netzbetrieb. Beim klassischen Energieversorger waren mit dem Netzbetrieb eher geringe Risiken verbunden. Vor dem Hintergrund der Senkung der Netznutzungsentgelte und der Anreizregulierung haben die Risiken des Netzbetriebs für die Netzseite eine ähnlich zentrale Stellung gewonnen, wie die der Energiebeschaffung, des Handels und des Vertriebs für die Lieferantenseite. "Die Integration des Asset Managements in das zentrale Risikomanagement ist deswegen von entscheidender Bedeutung. Über die Verknüpfung der Risikoinformationen aus unterschiedlichen Bereichen sind wir zudem in der Lage, Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Risiken zu erkennen und diese entsprechend in die strategischen Entscheidungen einzubeziehen", beschreibt Roland Preisler die Entwicklung. Wichtig ist dies beispielsweise auch bei der Investitionsplanung. Wie viele andere Unternehmen der Energiewirtschaft baut auch die Energiedienstgruppe die Eigenerzeugung derzeit deutlich aus. So sind mit dem Neubau des Rheinkraftwerkes in Rheinfelden, das ab 2011 im Schnitt rund 600 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr produzieren wird, mit zahlreichen Risiken verbunden, sei es die Entwicklung der Strompreise, seien es politische oder seien es Finanzrisiken. Erst über die Gesamtsicht im Risikomanagementsystem können all diese Einzelrisiken zusammengeführt und gegenseitige Verknüpfungen erkannt werden.
"Das Risikomanagement ist in den vergangenen vier Jahren zu einem zentralen Werkzeug für die Unternehmensführung geworden. Und das übrigens auch für den Verwaltungsrat der Schweizer Holding, obwohl das Risikomanagement in der Schweiz noch längst nicht so im Unternehmensrecht verankert ist, wie das beispielsweise im deutschen KonTraG der Fall ist", umreißt Roland Preisler die derzeitige Situation. Aber nicht nur die Informationsbedürfnisse des Verwaltungsrates, der im Unterschied zum deutschen Aufsichtrat aktiv an der operativen Unternehmensführung mitwirkt, haben zum Ausbau des Risikomanagements beigetragen. Auch das Berichtwesen innerhalb des EnBW-Konzerns, zu dem die Energiedienst-Gruppe mehrheitlich gehört, treibt den Ausbau des Systems voran. Dabei geht der Trend zu einer immer genaueren Quantifizierung der Risiken und zur Installation von "Frühwarnsystemen", die in Form einer Ampelfunktion negative Entwicklungen sofort anzeigen, wenn bestimmte Schwellenwerte über- oder unterschritten werden. "Während die Risiken früher eher grob geschätzt, beziehungsweise qualitativ bewertet wurden, motivieren wir unsere Mitarbeiter heute dazu, die Auswirkungen des Risikofalls möglichst genau einzuschätzen. Zudem spielt die Übernahme von Kennzahlen aus den Vorsystemen eine sehr viel größere Rolle als früher", so Preisler.
Ein Trend, den Ulrich Palmer, Bereichsleiter Risikomanagement bei der Schleupen AG, auch bei anderen Unternehmen in der Energiewirtschaft beobachtet: "In einem Projekte bei der ¬ österreichischen Verbundgesellschaft (Österreichische Elektrizitätswirtschafts-AG) geht es derzeit beispielsweise darum, der Unternehmensführung eine stark aggregierte Sicht auf die Unternehmensrisiken zur Verfügung stellen zu können". Dabei werden Gesamtrisiken für ganze Unternehmensbereiche zusammengeführt und die Auswirkungen als Value-at-Risk-Betrachtung in Form von "best/_most likely/worst-Case"-Kurven dargestellt. Dies funktioniert natürlich nur bei eindeutig quantifizierten Risiken. Roland Preisler warnt jedoch davor, die quantitative Sicht auf die Risiken überzubetonen: "Letztlich funktioniert Risikomanagement nur, wenn im Unternehmen eine entsprechende Risikokultur aufgebaut wird. Das bedeutet, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ein Risikobewusstsein entwickelt und sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligt, um diese Risiken zu minimieren".
Autor: Uwe Pagel, exklusiv für et 10/06