Die beiden ersten Ulmer Modelle sind den meisten geläufig: Die Hochschule für Gestaltung HfG und das heutige Anna-Essinger-Gymnasium am Kuhberg, das in den 70er-Jahren als viel beachtetes Ganztagsschulprojekt in die Ulmer Stadtgeschichte einging. Kaum bekannt ist jedoch ein drittes Ulmer Modell, das ursprünglich sogar unter diesem Namen vermarktet wurde. Es ist der Urahn des modernen Mehrspartenhausanschlusses, über den heute ganz selbstverständlich Strom, Wasser, Gas, aber auch Breitbandkabel, Telefon oder Fernwärme ins Haus geführt werden. Die Grundlagen für diese Technik wurden bereits vor rund 30 Jahren von den damaligen Stadtwerken Ulm mitentwickelt. Und auch die Entwicklung des Mehrspartenanschlusses, wie er erst seit einigen Jahren auf dem Markt ist, hat die SWU Energie entscheidend mitgeprägt.
Einen Graben ziehen, die Hausmauer aufstemmen, den Hausanschluss durch die Mauer legen, das Ganze dann wieder von außen verputzen und abdichten – so sah noch vor dreißig Jahren das übliche Hausanschlussverfahren aus. Und das nicht nur einmal, sondern jeweils separat für Strom, Wasser, Gas und Telefon – Kabelfernsehen gab es ja damals noch nicht. Das Verfahren war nicht nur aufwändig und teuer, sondern hinterließ auch jede Menge Schmutz am Haus. All dies ließ Horst Jost, den damals verantwortlichen Abteilungsleiter bei den Stadtwerken, nicht ruhen. Seiner Ansicht musste es auch andere, elegantere Wege geben, Strom, Gas oder Wasser ins Haus zu bringen. Zusammen mit einem renommierten Hersteller von Hausanschlusstechnik entwickelte er ein völlig neues Trockenbauverfahren. Kern dieses Verfahrens, das später unter dem Namen "Ulmer Modell" auf den Markt kam, war ein Rohr, das mit zwei runden Dichtungsplatten versehen ist. Mit Hilfe von Schrauben wird die äußere dieser Dichtungsplatten verspannt, bis beide Platten dicht an der Hausmauer anliegen. Der Vorteil: Es muss nur noch ein Loch für das Rohr gebohrt werden, eine Verfüllung des Spalts zwischen Rohr und Bohrung sowie das anschließende Verputzen sind nicht mehr nötig. Der Hausanschluss kann somit sehr viel einfacher und schneller gelegt und auch an unterschiedliche Mauerstärken angepasst werden. Und er ist zu hundert Prozent gas- und wasserdicht. Denn selbst wenn es zu Rohrbewegungen kommt, liegt die Gummidichtung fest an.
Alle Leitungen in einen Graben
Das Prinzip der modernen Hausanschlusstechnik war damit erfunden, doch das war für die Tüftler der SWU nicht genug. Denn immer noch wurden die Leitungen für Strom, Gas und Wasser separat verlegt. Die Ulmer Antwort darauf hieß "Kompaktverlegung" und wurde 1997 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Statt alle Leitungen ins Haus einzeln zu verlegen, wurden jetzt zuerst Schutzrohre für alle Medien in einem gemeinsamen Graben von der Mauereinführung bis zur Hauptleitung verlegt. In diese Schutzrohre wurden dann die Leitungen für Strom, Gas und Wasser eingezogen. Eine ebenso einleuchtende wie einfache Lösung, mit der die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm 1997 trotzdem für Aufsehen sorgten. Nicht nur die Presse berichtete bundesweit, auch Delegationen von Stadtwerken aus ganz Deutschland kamen in diesem Jahr nach Ulm, um sich das neue Verfahren anzusehen – und es anschließend den eigenen Kunden anzubieten. Schließlich konnten auf diese Weise die Hausanschlüsse nicht nur in einem Bruchteil der früher benötigten Zeit verlegt werden, sondern auch die Tiefbaukosten sanken drastisch um bis zu 50 Prozent. Denn zum einen musste jetzt nur noch ein Graben gezogen werden, zum anderen wurde durch das Schutzrohr das Einsanden der Hausanschlussleitungen überflüssig. Damit verringerten sich die erforderlichen Grabentiefen und damit auch die Aushubmengen. Und weil defekte Leitungen nun jederzeit ausgetauscht werden konnten, ohne dass dazu Tiefbauarbeiten im Grundstücksbereich nötig wurden, konnten die Häuslesbauer nun ihren Garten frei gestalten, ohne auf den Verlauf der Leitungen Rücksicht nehmen zu müssen.
Der moderne Hausanschluss
Der Schritt drei der Entwicklung war damit bereits vorgezeichnet. Erneut erwies sich Horst Jost als Motor der Entwicklung. Für die Idee, die bereits gebündelten Leitungen jetzt auch durch eine einzige Bohrung ins Haus zu führen, warb er bei namhaften Herstellern. Mit Erfolg. Und nachdem sich auch der Gesetzgeber endlich von den Vorgaben für die Mindestabstände zwischen den unterschiedlichen Hausanschlüssen verabschiedet hatte, war der Weg für den modernen Mehrspartenhausanschluss endgültig frei. Innerhalb weniger Jahre hat er sich dann in ganz Deutschland durchgesetzt und wird heute von vielen deutschen Netzbetreibern angeboten. Eine Erfolgsgeschichte, die von der SWU mitgeschrieben wurde.
Texte für Kästen:
Nicht nur für die Energie
In nur wenigen Jahren hat sich der Mehrspartenhausanschluss auf dem Markt durchgesetzt. Dabei ist er längst nicht mehr nur für Strom, Wasser und Gas ausgelegt. Im Netzgebiet der SWU Energie wird über moderne Mehrspartenhausanschlüsse beispielsweise auch das neue Breitbandkabelangebot der SWU Telenet ins Haus gebracht. Wo Fernwärme zur Verfügung steht, kann auch diese über den gemeinsamen Anschluss in den heimischen Heizungskreislauf eingespeist werden. Und längst läuft natürlich auch die ganz normale Telefonleitung über den Mehrspartenhausanschluss.
Neue Technik, neue Organisation
Die Einführung neuer Verfahren wirkt sich immer auch auf die Abläufe im Unternehmen aus. Das wird am Beispiel des Hausanschlussverfahrens besonders deutlich. So waren früher allein fünf SWU-Mitarbeiter damit beschäftigt, einen einzigen Hausanschluss zu planen und zu überwachen. So war einer zuständig für die Planung des Stromanschlusses, ein anderer für die Planung des Gas- und Wasseranschlusses. Dann gab es noch je einen Verantwortlichen für die Überwachung und Abrechnung der Tiefbauarbeiten, der Montagearbeiten Gas und Wasser sowie der Montagearbeiten Strom. Schon im Jahre 1993 wurde dieser Zustand beendet und eine spartenübergreifende Hausanschlussgruppe gegründet. Seitdem wird das gesamte Hausanschlussverfahren jeweils durch einen Mitarbeiter abgewickelt.
Zahlen und Fakten
Betrachtet man die Zahl der Hausanschlüsse getrennt nach Sparten, so teilen sich die rund 90.000 Hausanschlüsse in Ulm und Neu-Ulm in rund 42.000 Hausanschlüsse für Strom, 30.000 für Trinkwasser und 19.000 für Erdgas auf. Der zuletzt genannte Bereich verzeichnet den stärksten Zuwachs. 2004 kamen ca. 1.250 Gasanschlüsse dazu, beim Strom waren es fast 500 und beim Wasser über 300. 2004 kamen bei 250 Projekten Mehrspartenanschlüsse zum Einsatz.