ES: Herr Neddermann, Herr Schleupen, wann
war bei Ihnen der Punkt erreicht, als Sie
dachten: So geht’s nicht weiter, jetzt muss
etwas Einschneidendes geschehen?
Neddermann: Das erste Mal war bereits 1994,
als der Vorstand sich darauf geeinigt hatte,
einen Technologiewechsel zu vollziehen und
den Startschuss für eine neue
Softwaregeneration zu geben. Die Komplexität
dieser Entscheidung haben wir anfänglich
sicher nicht richtig bedacht. Deswegen
mussten wir im Jahr 2000 erneut korrigierend
eingreifen.
Schleupen: Wir mussten zu unserer
Fachkompetenz zurückfinden. Zu dieser Zeit
lag der Schwerpunkt unserer Entwicklung zu
sehr auf der Technologieseite. Wir haben
dann erkannt, dass das nicht reicht und wir
den Schwerpunkt wieder auf die
Fachkompetenz legen müssen. Das zu
ändern war nicht ganz einfach, denn wir hatten
die Situation, dass es zwei Gruppen von
Entwicklern gab, die nicht miteinander
gesprochen haben: die "alte" und die "neue"
Welt. So war die Situation vor einem Jahr, als
ich wieder im Hause aktiv wurde. Und eine
meiner ersten Aufgaben war es, diesen
Zustand zu überwinden.
ES: Sie sprechen von einer Korrektur. Aus
heutiger Sicht haben Sie Ihr Unternehmen
komplett umgebaut...
Neddermann: Da haben Sie sicher recht. Wir
haben die Situation zum Anlass genommen,
unsere gesamte Unternehmensstrategie auf
den Prüfstand zu stellen und ein völlig neues
Konzept für die nächsten fünf Jahre zu
entwickeln. Wir haben uns in Sparten
beziehungsweise in Geschäftsfelder
organisiert. Das heißt, wir haben mit der
Trennung in einzelne Business Units auch die
Entwicklungsteams den jeweiligen Units
zugeteilt. Es ist uns hier sicher nicht leicht
gefallen, den Weg einer
technologieorientierten, unternehmensweiten
Softwareentwicklung zu verlassen. Aber dann
kam die Besinnung zu sagen: Eine Software
kann ich nicht nur technologisch sehen,
sondern ich will für den einzelnen Markt, wie
etwa für die Energiewirtschaft, das optimale
Ergebnis erzielen - da möchte ich keine
Rücksicht nehmen auf eventuelle
Anforderungen zum Beispiel der
steuerberatenden Berufe. Das bläht die
Systeme doch wieder unnötig auf. Deswegen
also die klare Trennung in Business Units,
die jetzt jeweils an eigenen Standorten
angesiedelt sind. Für die steuerberatenden
Berufe in Ettlingen, für die kommunale
Verwaltung in Dresden und für die
Energiewirtschaft hier in Moers.
ES: Machen Sie da jetzt nicht vieles
doppelt?
Schleupen: Ja. Ich denke, jedem
Betriebswirtschaftler stehen bei so einem
Vorgehen wahrscheinlich die Haare zu Berge.
Wenn Sie das aber von der Fachkompetenz
her sehen, werden Sie damit eine
Problemlösung produzieren, keine
"eierlegende Wollmilchsau". Es bringt nichts,
"Kompromiss-Software" herzustellen, die
Anwender wollen "Kompetenz-Software". Für
dieses Ziel haben wir Synergieeffekte
aufgeben müssen. Aber andererseits konnten
wir feststellen, dass die Gewinne im
Kompetenzbereich höher waren als diese
Verluste.
ES: Im Herbst haben Sie die erfolgreiche
Pilotinstallation von Schleupen.CS gemeldet,
dann war wieder Stille. Eigentlich unüblich in
einer Branche, in der viele Erfolge schon vor
der Umsetzung gemeldet werden. Sind Sie
trotz der radikalen Maßnahmen nicht fertig
geworden?
Schleupen: Wann ist eine Software fertig? Da
gibt es viele Interpretationen. Bei mir
zumindest ist eine Software dann fertig, wenn
man sich zutrauen kann, weitere
Installationen durchzuführen, die Lösung also
nicht nur bei einem Unternehmen läuft.
Insofern war etwas Zurückhaltung durchaus
angebracht.
ES: Das hat sich jetzt geändert. Sie haben das
erfolgreichste Quartal der Firmengeschichte
gemeldet, 50 Aufträge innerhalb von nur
wenigen Monaten. Besteht das nicht die
Gefahr, dass man nicht mehr
hinterherkommt?
Neddermann: Wir bedienen uns jetzt schon
zusätzlicher Hilfe und sind eine Partnerschaft
mit der Visos GmbH eingegangen, mit Herrn
Dr. Richter. Die Visos ist bereits in zahlreichen
Projekten aktiv und wir haben ausgesprochen
positive Rückmeldungen, was die Qualität der
Projekte angeht.
ES: Reicht denn ein Partner?
Schleupen: Wenn wir uns auf der einen Seite
als Kompetenzpartner präsentieren, dann
muss man sehr, sehr vorsichtig sein beim
Eingehen von Partnerschaften.
Neddermann: Das ist eigentlich die Messlatte.
Wenn wir einen ähnlich guten Partner wie die
Visos finden, sind wir sicherlich nicht
abgeneigt. Die derzeitige Auftragslage würde
es rechtfertigen.
ES: Stichwort Auftragslage: Der Energiemarkt
ist ja endlich. Mehr noch, es gibt eindeutig
auch Konsolidierungstendenzen. Ist da
überhaupt ausreichend Potenzial
vorhanden?
Neddermann: Für das Haus Schleupen
sehen wir einen sehr interessanten Markt. Es
wird sicher künftig weniger Stadtwerke geben.
Aber ich denke, es wird auch künftig noch eine
Vielzahl von Versorgungsunternehmen geben.
Fest steht: Die Anzahl der Zähler nimmt eher
zu. Wir müssen den Fokus nicht mehr nur auf
Versorger zwischen zehn und 100.000 Zähler
legen. Wir müssen einen größeren
Kundenkreis ansteuern, auch Häuser mit bis
zu 500.000 Zählern.
ES: Software muss funktional wesentlich
flexibler sein als früher, mit der VVII ist ja das
letzte Wort nicht gesprochen. Können Sie sich
auf Unvorhergesehenes einstellen?
Neddermann: Ja! Wir hängen ja nicht mehr,
wie in der alten Welt, am Zähler. Heute steht
für uns die Person im Mittelpunkt. Diese
Person kann unterschiedliche Rollen
übernehmen, zum Beispiel die des Kunden.
Dem ordne ich wiederum die Verträge zu, die
über Formelgeneratoren abgebildet werden.
Damit können Sie die unterschiedlichsten
Verträge hinterlegen und auch ganz andere
Dinge abrechnen, etwa
Telekommunikationsdienstleistungen oder
Internet. Wir sind offen für alles sind, was
Billing heißt. Auch im Rechnungswesen sind
wir auf die neuen Entwicklungen eingestellt.
Abseits unserer Kernkompetenzen arbeiten
wir mit Partnern zusammen, wie
beispielsweise im Energiedatenmanagement
mit dem finnischen Softwarehaus Process
Vision Oy. So wie wir das früher gemacht
haben, nach dem Motto "Wenn der Kunde
Software kauft, dann muss sie von Schleupen
kommen", das ist endgültig vorbei.
Schleupen: Das gilt auch für die Technologie.
Wir entwickeln heute Komponentensoftware,
setzen auf Standards wie COM von Microsoft
und gestalten unsere Software offen. Mit
Schnittstellen auf Basis von XML
beispielsweise können wir die
verschiedensten anderen Welten integrieren.
Aber Technologie muss immer Sinn machen.
ES: Ein Unternehmen in nur einem Jahr
komplett umgebaut, mit Erfolg das Ruder
herumgerissen. Wie stellen Sie sicher, dass
das so bleibt?
Schleupen: Wenn Sie ein Unternehmen
führen, dann gibt es immer drei Dimensionen:
die betriebswirtschaftliche, die technologische
und die menschliche. Und gerade die letzte
haben wir irgendwann etwas vernachlässigt.
Durch die Trennung in die "alte" und die
"neue" Welt haben wir bewirkt, dass sich
Parteien bildeten, die nicht miteinander
kommunizierten. Das führte zu einer
Schwächung. Allen beteiligten Mitarbeitern
und Bereichen wieder klar zu machen, dass
sie in einem Boot sitzen und in die gleiche
Richtung rudern müssen, war also die
Aufgabe. Und das haben wir begriffen!