Unbundling: es kommt darauf an, was man daraus macht
Die Chancen des Unbundlings erkennen und nutzen
Auch wenn die de minimis-Regel nicht gestrichen wurde und Energieversorger mit weniger als 100.000 Kunden vom Legal Unbundling befreit werden können, wird sich nur eine Minderheit der Versorgungsunternehmen tatsächlich auf diese Klausel berufen können. Denn die wirtschaftlichen Verflechtungen durch Beteiligungen im Energiemarkt haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen - und nehmen weiter zu. So haben beispielsweise rund 600 der insgesamt 980 Mitgliedsunternehmen des VKU inzwischen neben der jeweiligen Kommune auch fremde Anteilseigner. Und selbst die, die das nicht haben, organisieren Energievertrieb und -beschaffung oftmals gemeinsam mit anderen Stadtwerken in gesonderten Handelsgesellschaften. Die Folge: wer sich alle Optionen für die Zukunft offen halten will, sei es in der Kooperation mit anderen oder durch die Beteiligung fremder Investoren, muss sich mit dem Unbundling beschäftigen. Und das nicht erst zum 1. Juli 2007, dem Zeitpunkt, zu dem alle Vorgaben der Europäischen Union umgesetzt sein müssen, sondern schon jetzt. Denn das Thema Unbundling berührt zahlreiche Geschäftsprozesse, deren optimale Gestaltung für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens auf dem Energiemarkt entscheidend sind. Dazu gehört nicht zuletzt die Fähigkeit, korrekte Rechnungen stellen zu können, und diese vor allem auch zeitnah zu übermitteln.
Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Wege, wie ein Unternehmen das Unbundling organisatorisch und gesellschaftsrechtlich umsetzen kann. Entscheidend ist aber, dass der Netzbetrieb auf der einen sowie die Beschaffung und der Vertrieb auf der anderen Seite in Hinsicht auf die Rechtsform, Organisation und die Entscheidungsgewalt unabhängig voneinander arbeiten müssen. Lediglich die Abteilungsgrenzen zwischen Netz und Vertrieb stärker auszubauen, reicht in keinem Falle. Denn zur Vermeidung von Diskriminierungen, Quersubventionen und Wettbewerbsverzerrungen müssen die Bereiche sowohl buchhalterisch eigenständig geführt als auch auf Managementebene getrennt werden. Dazu kommt, und das ist aus Sicht der Datenverarbeitung entscheidend, die informationstechnische Trennung. Denn auch bei der Bereitstellung von Informationen muss es künftig diskriminierungsfrei zugehen.
So ist die Frage, wann der Netzbetreiber seinem bisherigen Vertrieb einen neuen Kunden, der etwa einen Hausanschluss bestellt, melden darf - ob bereits bei der Anfrage, nach Auftragsbestätigung oder nach durchgeführtem Auftrag - leicht zu beantworten. Der Netzbetreiber darf das seinen dann ehemaligen Kollegen gar nicht mitteilen! Schon dies wäre im Sinne des Unbundling eine unzulässige Bevorzugung und damit eine Diskriminierung anderer Anbieter. Bestimmungen wie diese haben dazu geführt, dass sich viele Unternehmen im Energiemarkt nach wie vor eher defensiv verhalten, wenn es um das Unbundling geht. Nicht nur, weil man die Konkurrenz am liebsten doch aus dem eigenen Netzgebiet draußen halten möchte, sondern vor allem auch wegen der befürchteten Kosten. Ein kleines Stadtwerk kann sich das doch gar nicht leisten!, diesen Satz hört man auf Veranstaltungen zum Thema immer wieder. Ein Satz, in dem die Hoffnung mitschwingt, der Kelch möge am eigenen Unternehmen vorübergehen. Denn die Vorstellung, nicht nur die Zuständigkeiten in eigene Tochterunternehmen zu gießen, sondern auch alle bisherigen Querschnittsfunktionen, wie etwa die Datenverarbeitung, die Abrechnung oder das Kundencenter, künftig doppelt vorhalten zu müssen, erfüllt viele Geschäftsführer von Stadtwerken mit Schrecken. Dass sie sich damit aber auch Chancen verbauen, daran denken in diesem Moment die wenigsten.
Im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeit ist es jedoch wenig sinnvoll, das Thema Unbundling aussitzen zu wollen. Wie beim Beton muss es deswegen heißen: Es kommt darauf an, was man daraus macht! Und mit einem offensiven Ansatz lässt sich auch aus dem Unbundling etwas machen, ohne dass die Kosten aus dem Ruder laufen.
Um hier zu einem zufriedenenstellenden Ergebnis zu kommen, gilt es zunächst, die Forderungen des Unbundlings nicht buchstäblich zu sehen und auch dementsprechend umzusetzen. Denn dann käme man tatsächlich zu einer Struktur, in der sämtliche Querschnittsfunktionen dupliziert würden, also Service, IT und andere Bereiche sowohl auf Lieferanten- als auch auf Netzseite jeweils getrennt aufgebaut und betrieben werden müssten. Dass dies für einen Großteil der kleinen und mittleren Versorger das wirtschaftliche Aus bedeuten könnte, versteht sich von selbst. Ganz anders, wenn man die Querschnittsfunktionen als einen eigenen Bereich begreift, als einen Dienstleister, der seine Kunden betreut, unabhängig davon, ob dieser nun als Netzbetreiber oder im Energievertrieb aktiv sind. Statt zweier Tochterunternehmen hätte man nun deren drei: zwei, deren Funktionen vertikal getrennt sind, und eines, das horizontal Leistungen für die beiden anderen anbietet.
Aus diesem Ansatz ergeben sich für die Umsetzung eine ganze Reihe von Konsequenzen, die in erster Linie auch die Informationstechnologie betreffen. Denn aus dem ursprünglich einen Stadtwerkekunden werden durch das Unbundling zwei: einer für den Netzbetreiber und einer für den Lieferanten. Bei deutschlandweit 43 Mio. Zählpunkten bedeutet das eine nicht unerhebliche Steigerung des Aufwandes für die Rechnungsstellung. Und auch aus Lieferantensicht würde sich das Leben verkomplizieren. Denn beispielsweise Abschläge müsste er an den Endkunden berechnen, nur um sie an den Verteilnetzbetreiber weiterzugeben. Zwar sind grundsätzlich auch Sammelrechnungen für Lieferanten und Netzbetreiber denkbar, doch wenn hier eine Position strittig ist, bedeutet das, dass die gesamte Rechnung strittig ist. Ungeachtet dessen, ob nur die eine oder nur die andere Seite betroffen ist. Dazu kommt, dass der elektronische Datenaustausch bei der Rechnungsstellung derzeit allenfalls in Ansätzen funktioniert und wichtige Fragen wie beispielsweise der elektronischen Signatur für einen sicheren Datenaustausch nach wie vor nicht geregelt sind. Die Folge: der erhöhte Aufwand kann nicht einmal elektronisch sondern nur via Papier abgewickelt werden.
Während in Sachen elektronischer Datenaustausch von Seiten der Verbände, des BMWA und der EDNA-Initiative derzeit zahlreiche Anstrengungen unternommen werden, die hoffentlich kurzfristig dazu führen, dass die bestehenden Möglichkeiten auch tatsächlich breit im Markt angewendet werden, muss auf Seiten des Stadtwerke organisatorisch wie DV-technisch einiges unternommen werden, um die Chancen des Unbundling auch nutzen zu können. Der einfachste Teil dabei ist sicherlich, VNB und Lieferant buchhalterisch wie DV-technisch als eigenständige Mandanten einzurichten und zu führen. Damit ist hier der Forderung nach organisatorischer Trennung genüge getan. Etwas anspruchsvoller gestaltet sich die Umsetzung des Anspruchs, der Forderung nach dem informationstechnischen Unbundling nachzukommen, ohne dabei die möglichen Synergieeffekte einer gemeinsamen Dienstleistungstochter zu zerstören, beispielsweise die Zusammenführung aller Verträge, um sie so auch über eine einheitliche Rechnung abrechnen zu können. Denn, und das hat das Beispiel mit dem Hausanschluss ja deutlich gemacht: keine der beiden Seiten darf Zugriff auf die Daten der jeweils anderen Seite haben. Auch hier gestaltet sich die Lösung des Problems im Grunde einfach. Neben den Mandanten müssen in den Systemen auch die Rollen hinterlegt werden. Damit lässt sich dann sehr genau steuern, auf welche Seiten der VNB Zugriff haben darf, und auf welche Daten der Lieferant. Das betrifft nicht nur die Abrechnung, sondern zum Beispiel auch die korrekte Abwicklung des Lieferantenwechselprozesses oder die Berücksichtigung der unterschiedlichen Rollen im Bereich der Energielogistik bzw. des Energiedatenmanagements. Denn die zentralen Geschäftsprozesse eines Versorgungsunternehmens gehen längst über ganz unterschiedliche Anwendungen hinweg. Aus Sicht des Energievertriebs sind beispielsweise von der Anbahnung einer Liefervertrags bis hin zum Inkasso CRM-Anwendungen genauso betroffen wie die Vertragsabrechnung, die Energielogistik oder das Rechnungswesen. Dazu kommen Office-Applikationen, Workflow- und Groupwarelösungen oder auch die elektronische Archivierung. Ganz ähnlich gestaltet sich dies aus Sicht des Netzbetriebs. Wobei hier zusätzlich auch ZFA- oder GIS-Systeme eingebunden werden müssen. Durch die Umsetzung eines Rollenmodells in Verbindung mit einer vertikalen, spartenscharfen Trennung durch eigenständige Mandanten lassen sich diese Anforderungen über einen zentralen Dienstleister völlig konform zu den Anforderungen des Unbundling umsetzen, wobei dennoch bei der Abrechnung das One face to the Customer-Prinzip beispielsweise über eine gemeinsame Rechnung für alle Leitungen von VNB und Lieferant umgesetzt werden kann. Im Prinzip ist dies nichts anderes als eine logische Fortsetzung des schon heute gelebten Multi-Utility-Billings. Auch hier werden unterschiedliche Leistungen wie Strom-, Gas-, Wasser- oder Wärmelieferung über ein einheitliches System abgewickelt, ohne dass dies große Probleme in rechtlicher oder organisatorischer Hinsicht nach sich zieht.
Dass ein solches Dienstleistungsunternehmen nicht zum Nulltarif zu haben ist, versteht sich von selbst. Doch verglichen mit der Option, diese Dienstleistungen jeweils parallel in den einzelnen Gesellschaften vorhalten zu müssen, ist dieser Aufwand sicherlich ganz deutlich niedriger. Dazu kommt es darauf an, welches System man einsetzt. Hier gilt es, besonders die Betriebskosten im Auge zu behalten. Denn die liegen bei einzelnen Stadtwerken heute schon bei 10 Prozent der Gesamtkosten. Andere, auch kleinere Werke, kommen dagegen mit weniger als 3 Prozent aus. Zudem nutzen immer mehr Werke die Chance, ihren Dienstleistungsbereich nicht nur für sich selbst, sondern auch gemeinsam mit anderen Werken zu nutzen. Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen ist dies eine Chance, auf der einen Seite zusätzliche Einnahmen zu generieren, auf der anderen Seite günstig IT-Lösungen nutzen zu können, die man sich alleine in dieser Form gar nicht leisten könnte. Im Rahmen des so genannten Co-Sourcing, bei Schleupen auch als Kompetenz-Center bezeichnet, können diese Werke damit den Anforderungen des Unbundling entsprechen, ohne die eigene Marktstellung und vor allem die regionale Identität zu gefährden. Und die ist ja nach wie vor vielerorts eines der wichtigsten Alleinstellungsmerkmale gegenüber den überregional agierenden Wettbewerbern.
Damit dieses Modell allerdings funktionieren kann, müssen die Rahmenbedingungen im Energiemarkt in einigen Punkten dringend verbessert werden. So ist eine verbindliche Regelung für eine zeitnahe Rechnungsstellung aller Marktteilnehmer längst überfällig. Auch eine Vorgaben für die Umsetzung der Marktkommunikation gemäß Best-Practice sowie der elektronische Rechnungsdatenaustausch über das EDIFACT-Format INVOIC müssen schnell durchgesetzt werden. Nur so können die Einsparungspotenziale durch die automatisierte Abwicklung der Geschäftsprozesse zwischen den Marktteilnehmern im Energiemarkt schnell erschlossen werden. Die Chancen dafür stehen zumindest gut. Denn nicht nur die Aktivitäten der EDNA-Initiative, die auch Schleupen aktiv unterstützt, erzeugen hier den nötigen Druck, auch der kommende Regulator wird den elektronischen Datenaustausch einen deutlichen Schritt voranbringen müssen, denn sonst wäre die neue Behörde kaum arbeitsfähig. Das zeigt auch das Beispiel Österreich, wo sich das Datenvolumen, das elektronisch ausgetauscht wird, seit Arbeitsaufnahme der dortigen Regulierungsbehörde vervielfacht hat.
Autor: Uwe Pagel/exklusiv für energiewirtschaftliche tagesfragen 09/2003