(BWK 09/2002) Nichts ist unbeständiger als der Wind.
Mal bläst er kräftig, dann ist plötzlich wieder Flaute. Vor
allem für die Kraftwerkseinsatzplanung war das bisher
ein Problem. Denn um die Unwägbarkeiten der
Windenergie auszugleichen, mussten bislang
regelmäßig mehr Kraftwerkskapazitäten vorgehalten
werden, als eigentlich nötig – mit allen unangenehmen
Folgen, die damit verbunden sind, von den unnötigen
Kosten bis hin zum CO2-Ausstoß. All das könnte schon
2003 der Vergangenheit angehören. Denn mit einem
neuen Prognoseverfahren will das ISET – das Institut
für Solare Energieversorgungstechnik e.V an der
Universität Kassel – jetzt für Planungssicherheit
sorgen: für große Verbundunternehmen wie E.ON oder
Vattenfall, die sich aktiv an diesem Projekt beteiligen,
aber auch für die zahlreichen Energiehändler. Mit
beteiligt an diesem Projekt: der Deutsche Wetterdienst,
der eine wichtige Datenbasis für die Prognose liefert,
und der Senftenberger Spezialist für das
Energiedatenmanagement AKTIF Technology, der die
Softwaremodule für den Einsatz in den Leitwarten,
aber auch eine Online-Version realisiert. Damit kann
die Prognose künftig deutschlandweit beliebigen
Teilnehmern gegen Gebühr via Internet zur Verfügung
gestellt werden.
Das Wissen, wie viel Energie aus Windkraftanlagen am
nächsten Tag zur Verfügung stehen wird, ist bares Geld
wert. Denn die Windenergie ist längst zu einem
wichtigen Faktor im Energiemix geworden. Allein im
letzten Jahr, das eher "windschwach" ausfiel,
erzeugten die mehr als 11300 Windkraftanlagen in
Deutschland mit einer Leistung von 8700 MW ca. 10,7
Mrd. Kilowattstunden Energie, und damit rund 2 % der
Gesamtversorgung. Nicht nur die
Übertragungsnetzbetreiber haben deswegen ein sehr
großes Interesse an genauen Prognosen. Denn auf
dieser Basis könnte die Netzlast sehr viel genauer
kalkuliert werden und es würde nicht unnötig Kohle,
Gas oder Öl verfeuert, nur um die Unwägbarkeiten der
Windenergie auszugleichen. Eine genaue Prognose
der Windleistung wäre aber auch die Grundlage, um
Windenergie endgültig zu einem handelbaren Gut zu
machen. Denn nur auf der Basis zuverlässiger Daten
kann man kaufen und verkaufen, lassen sich
Fahrplanabweichungen kurzfristig ausgleichen, kurz
gesagt: lassen sich mit Windenergie im liberalisierten
Markt echte Geschäfte machen. Entsprechend groß ist
das Interesse der Energiehändler an einer
Windleistungsprognose, und vor allem an einem
einfachen Zugriff auf die Ergebnisse. Dass diese
Informationen vielleicht schon 2003 via Internet zur
Verfügung stehen – gegen Gebühr versteht sich – ist
einem Prognosemodell des ISET zu verdanken,
dessen Vorläufer schon heute der E.ON hilft, den
Kraftwerkseinsatz in ihrem Netzgebiet weitaus besser
zu planen, als das bislang möglich war.
Neuronale Netze machen genaue Vorhersagen
möglich
Schon 1998 hatte die ISET begonnen, sich genau in
diesem Netzgebiet intensiv mit der Windleistung zu
befassen. Da die direkte Erfassung der
Windleistungsdaten aus allen installierten
Windenergieanlagen mit derzeit existierender Technik
nicht möglich ist, hatte man zunächst damit begonnen,
ein Modell für die Ermittlung der zeitgleich erzeugten
Windleistung zu entwickeln. Auf Basis repräsentativ
ausgewählter Anlagen ist es damit möglich, die
erzeugte Windleistung für bestimmte Regionen, aber
auch für das gesamte Netzgebiet hochzurechnen.
Nachdem man so den "Ist-Zustand" sehr genau
bestimmen konnte, war der nächste logische Schritt,
ein Prognoseverfahren zu entwickeln, das die künftige
Entwicklung der Windleistungserzeugung vorhersagen
kann.
Am ISET entschloss man sich dabei für den Einsatz
Neuronaler Netze, für ein Verfahren also, das der
Arbeitsweise des menschlichen Gehirns
nachempfunden ist. Für die repräsentativen Standorte
stellt der Deutsche Wetterdienst prognostizierte
Winddaten in 1-Stunden-Intervallen für einen
Vorhersagezeitraum von bis zu 72 Stunden zur
Verfügung. Diese Daten werden ständig mit den
gemessenen Winddaten verglichen und mit Hilfe
statistischer Verfahren kalibriert, d.h. von
systematischen Abweichungen bereinigt. Die
zugehörige Windleistung wird nun mit Hilfe der
Neuronalen Netze berechnet, die mit gemessenen
Wind- und Leistungsdaten aus der Vergangenheit
trainiert werden, um die Relation zwischen
Windgeschwindigkeit und Windparkleistung zu
erlernen. Die Vorteile dieses Verfahrens: das System
kann Zusammenhänge erkennen und auf diese Weise
"dazulernen". Wenn man neben den Vorhersagen für
die Windstärke auch andere Wetterdaten einspielt
(Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck etc.) erkennt
das System, ob sich diese Faktoren ebenfalls auf die
Windleistung auswirken, ganz ohne komplexe
physikalische Modelle, allein durch "Beobachtung". Auf
dieser Basis kann das System aber auch Ergebnisse
bei unvollständigen oder widersprüchlichen
Eingangsdaten "erraten". Diese Methode ist anderen
Verfahren, die den Zusammenhang von
Windgeschwindigkeit und Leistung mit Hilfe von
Leistungskennlinien einzelner Anlagen berechnen,
überlegen, da der tatsächliche Zusammenhang
zwischen gemessener Windgeschwindigkeit und
Windparkleistung abhängig von einer Vielzahl von
lokalen Einflüssen und daher sehr komplex, d.h.
physikalisch schwer zu beschreiben ist.
Zusätzlich verfeinert werden die Prognosen, indem
man in einem zweiten Modul zu den prognostizierten
meteorologischen Daten die tatsächlichen, online
gemessenen Windparkleistungen der nahen
Vergangenheit als Eingangsgrößen für das Modell
nutzt. Auf diese Weise lassen sich Kurzzeitprognosen
über einen Zeitraum von 3 – 6 Stunden aufstellen, die
nochmals exakter sind, als die 24 – 72-
Stundenprognosen.
Genaue Vorhersagen für ganz Deutschland via
Internet
Nachdem das ISET mit einem ersten Prognosemodell,
das an die Gegebenheiten des E.ON Netzes angepasst
ist, bereits sehr zuverlässige Vorhersagen erzielt hat,
soll dieses Modell nun schrittweise für den Einsatz im
gesamten deutschen Verbundnetz erweitert werden.
So wird nun zunächst das Modell auf das Netzgebiet
der Vattenfall Europe Transmission GmbH erweitert,
um dann bis spätestens Ende kommenden Jahres
Prognosen für ganz Deutschland fahren zu können.
Die Aufgabe, diese Prognosen dann auch für alle
diejenigen nutzbar zu machen, die diese Informationen
benötigen, hat der Senftenberger Spezialist für das
Energiedatenmanagement AKTIF Technology
übernommen. Er ist sowohl für die Entwicklung und
Implementierung der entsprechenden
Softwarelösungen in den Leitwarten der
Übertragungsnetzbetreiber zuständig, als auch für die
Entwicklung der Online-Version. Hier können dann die
Windleistungsprognosen täglich aktuell abgerufen
werden, nicht gratis sondern gebührenpflichtig, und
auch nicht in der Detailtiefe, wie sie den
Übertragungsnetzbetreibern zur Verfügung stehen.
Denn die werden künftig auch regional sehr genau
vorhersagen können, wie sich die Windleistung
entwickeln wird, bis hinunter zu einem Raster von 10
mal 10 Kilometern. Detaillierte Informationen, die schon
aus Wettbewerbsgründen sicher nicht der
Allgemeinheit zugänglich gemacht werden.
Autor: Uwe Pagel
Kontakt:
AKTIF Technology GmbH – Silke Otum
Töpferstr. 9 – D-01968 Senftenberg
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