Zukunft der Netze: Wettbewerbsfaktor Informationstechnologie
Netzbetreiber brauchen eigene Lösungen
Noch ist das neue Energiewirtschaftsgesetz nicht verabschiedet und noch sind die Fristen für eine Unternehmensentflechtung in der Energiewirtschaft nicht alle verstrichen. Und doch registriert der aufmerksame Beobachter, dass zunehmend mehr Energiemarktteilnehmer die ihnen bisher häufig vorgeworfene abwartende Haltung aufgeben und neue Unternehmensstrukturen schaffen. Dabei spricht auch keiner mehr von vorauseilendem Gehorsam. Es scheint, als sei die Branche in der Normalität einer (zukünftig) regulierten Wirtschaft angekommen.
Die neu geschaffenen Netzgesellschaften werden als regulierte Unternehmen ihren IT-Bedarf zukünftig unter Beachtung von Funktionen und Kosten primär nach eigenen wirtschaftlichen Gesichtspunkten definieren. Dabei müssen sie auch neue Schwerpunkte setzen.
IT Strategie
Die IT-Strategie eines Unternehmens zielt darauf, Geschäftsprozesse zu rationalisieren, dadurch letztendlich Kosten zu reduzieren und die Wertschöpfung zu verbessern. Daneben hat sie sicherzustellen, dass das Unternehmen in der Lage ist, Veränderungen des Marktes möglichst schnell und flexibel umzusetzen (Time to Market). Und schließlich muss sie dafür sorgen, dass Investitionen in die IT zukunftssicher sind. Überträgt man diese allgemeingültige Formulierung auf eine Netzgesellschaft in der Energie- (und Wasser-) wirtschaft, wird sofort deutlich, dass die früher für ein integriertes Versorgungsunternehmen gültige IT-Strategie nicht ohne Anpassungen auf ausgegründete Unternehmensteile wie eine Netzgesellschaft übertragbar ist. Deren spezifisches Geschäftsmodell hat sich (gegenüber dem Zustand vor Ausgründung) geändert, die Prozesse werden neu ausgerichtet; also müssen sich die dafür erforderlichen IT-Systeme ebenfalls anpassen.
Regulierung
Mit der Einführung des neuen EnWG erfährt die Energiewirtschaft eine neue Qualität. Regulierung, Entflechtung und vor allem die Einführung von Verbindlichkeit schaffen neue Handlungsgrundlagen für alle Marktteilnehmer. Dabei ist die treibende Kraft aller Veränderungen in der Energiewirtschaft ab sofort vor allem die Regulierungsbehörde. Deren Ziel in der Umsetzung des EnWG lautet "Mehr Wettbewerb!". Ihre Maßnahmen zielen auf die Betreiber der Transport- und Verteilnetze. Die haben nach (informatorischer bzw. organisatorischer und rechtlicher) Entflechtung die Diskriminierungsfreiheit beim Netzzugang für jeden Lieferanten sicherzustellen. So soll durch geeignete Strukturen und Prozesse das o.a. Ziel erreicht werden. Dies bedeutet einschneidende Änderungen für die betroffenen Marktteilnehmer.
Divergierende Geschäftsmodelle
Ab dem Moment der Entflechtung (Ausgründung) beginnt die Netzgesellschaft ein organisatorisches und funktionelles Eigenleben, das sie mit zunehmender Zeit nach Gründung immer weiter von der Muttergesellschaft oder der ebenfalls neu entstandenen Lieferantengesellschaft entfernt.
Für diese Auseinanderentwicklung sorgen die gesetzlichen Rahmenbedingungen, der Kostendruck und Margenverlust aus Regulierungsvorgaben sowie durch zunehmenden Wettbewerb ausgelöste Technologiesprünge (z.B. EHZ, Large Scale AMR usw.). Zugleich muss auf den Verlust von Synergiepotenzialen und die Erhöhung des Transaktionsaufwandes reagiert werden. Also gilt es, die Geschäftsprozesse nicht nur dem neuen Geschäftsmodell anzupassen, sondern zeitgleich Kostensenkung durch Rationalisierung und Verbesserung der Wertschöpfung zu erreichen.
Rollenspezifische IT für neue Geschäftsmodelle
Es ist naheliegend, angesichts dieser Szenarien bisherige IT-Investitionen durch eine gemeinsame IT-Lösung für Netzbetreiber und Lieferant zu sichern oder fortgesetzte Synergieeffekte durch eine Shared Service Organisation zu erzielen.
Beide Ansätze müssen allerdings berücksichtigen, dass sich Synergieeffekte zukünftig nur noch auf wenigen deckungsgleichen, also geschäftsmodellübergreifenden Funktionsfeldern darstellen lassen und die Prozess- und IT-Kosten mit der Zunahme funktioneller Abweichungen zwischen den beiden Marktrollen steigen werden.
Dies gilt trotz der sicher teilweise noch gegebenen Kostensenkungspotenziale durch Mengenzunahme. Wenn aber bei divergierenden Geschäftsmodellen zukünftig eine abweichende IT-Unterstützung erwartet werden kann und die Synergiepotenziale insgesamt sinken, wächst die Berechtigung, über eigenständige, also rollenspezifische IT-Lösungen nachzudenken.
IT-Lösungen für Netzbetreiber
Wenn man den gesamten ERP-Bereich den Synergiepotenzialen zuordnen möchte, bleiben noch drei wesentliche Gebiete, in denen sich die IT des Netzbetreibers zunehmend deutlicher von den Bedürfnissen und IT-Anwendungen eines Lieferanten oder ehemals integrierten EVUs unterscheidet:
1. Netznutzungsmanagement
2. Regulierungsmanagement
3. Asset Management
Alle drei Aufgabenbereiche sind typisch für den Netzbetreiber, gehören zu seinen Kernaufgaben.
Netznutzungsmanagement
Netznutzungsmanagement bezeichnet die Bedienung aller Prozesse, die durch Nutzung der Übertragungs- bzw. Verteilungsnetze entstehen.
Im Mittelpunkt stehen die Netznutzer, also natürliche oder juristische Personen,
die in einem Nutzungsverhältnis zum Netz stehen und demgemäß auf vertraglicher Basis Leistungen des Netzbetreibers in Anspruch nehmen. Netznutzer können beziehende Kunden, Kraftwerke und Lieferanten sein.
Die Prozesse der Netznutzung werden durch IT-Lösungen wie Vertragsmanagement und –abrechnung, Netzzugangsmanagement (für den Kunden- / Lieferantenwechsel) sowie ZFA- und Energielogistiklösungen für die Erfassung und Verarbeitung von Zählwerten und Lastgängen unterstützt.
Der Begriff Netznutzungsmanagement gilt spartenübergreifend sowohl für Strom als auch für Gas.
Regulierungsmanagement
Strom- und Gasnetzbetreiber müssen sich auf den Informationsbedarf der Regulierungsbehörde einstellen. Deshalb sind unternehmensintern geeignete Quellen und Informationsprozesse sowie verfahrenstaugliche Informationssysteme vorzusehen. Ziel muss eine effiziente und passgenaue (konsistente) Informationserstellung und -kommunikation sein. Beispiele dafür gibt es im Rahmen der heute etwa bereits an Verbände, Landeswirtschaftsbehörden oder Ämter für Statistik gemeldeten Berichte. Neben dem periodischen "Reporting" wird man sich zusätzlich auch auf "Ad hoc-Meldungen" einrichten müssen.
Daneben müssen sich die Netzgesellschaften aber vor dem Hintergrund einer zukünftigen Anreizregulierung auch um den Aufbau kaufmännisch-technischer Controlling-Kompetenzen kümmern. Nur Netzbetreiber, die Techniken wie beispielsweise Target-Costing beherrschen, werden die Ertragsvorteile einer Anreizregulierung gezielt ausschöpfen können.
Asset Management
Wesentlich für ein effizientes Asset Management, also für eine optimale Bewirtschaftung der Netze und Anlagen, ist eine enge Integration der Prozesse zwischen kaufmännischem und technischem Bereich des Netzbetreibers. Zwei Ziele stehen dabei besonders im Fokus: Einerseits die optimale Gestaltung der Abläufe und ihre Automatisierung, wo immer das möglich ist. Andererseits eine transparente Sicht auf alle wesentlichen Informationen, insbesondere auf die Kosten. Um beides sicherzustellen, ist es nötig, eine Schnittstellenfunktion zu schaffen, in der alle wichtigen Informationen zusammenlaufen - seien es Statusinformationen zu den einzelnen Prozessen, seien es Kosteninformationen zu den jeweiligen Projekten. Erreicht werden kann dies durch die Einführung eines zentralen Auftragsmanagements.
Das Auftragsmanagement funktioniert als Integrationsplattform zwischen dem kaufmännischen und dem technischen Bereich. Hier werden alle auftragsrelevanten Vorgänge zusammengeführt, von der Angebotserstellung über die Auftragsanlage bis hin zur Fakturierung. Gleichzeitig übernimmt das Auftragsmanagement auch die Steuerung der kaufmännischen Seite der Instandhaltung und ist damit eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente für einen wirtschaftlichen Netzbetrieb.
Kosten der IT-Lösungen / Schlussbetrachtung
Mit Inkrafttreten des EnWG werden neu gegründete Netzbetreiber im Rahmen ihrer IT-Strategie Entscheidungen über ihre spezifische Softwareausstattung treffen. Fehlende Synergiepotenziale und bereits mittelfristig deutlich divergierende Prozesse und Funktionen machen den eigenen Softwarebedarf deutlich sichtbar. Zusätzlich erzwingt der Kostendruck durch Regulierung der Netzentgelte Maßnahmen, bisher integriert genutzte IT-Lösungen durch preiswertere Alternativen abzulösen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass in bisher noch nicht regulierten Märkten wie der Wasser- und Abwasserwirtschaft, Fernwärmeversorgung oder anderen Multi-Utility-Bereichen, viele Netzbetreiber zusätzliche Geschäftsfelder übernommen haben, die ebenfalls in die zukünftigen IT-Lösungen mit einbezogen werden müssen. In beiden Fällen bieten integrierte Branchenpakete, wie etwa Schleupen.CS, umfassende und gleichzeitig in Einführung und Betrieb preiswerte IT-Lösungen für Netzbetreiber in regulierten Märkten.
Autor: Bernhard Mildebrath, Schleupen AG, und Uwe Pagel, exklusiv für ew 09/05